„Die Mauer des Schweigens 2018“: die Nominierungen
Am Donnerstag, den 27. September 2018, verleihen wir am Vorabend des Internationalen Tags der Informationsfreiheit unseren Amtsgeheimnis-Award „Die Mauer des Schweigens 2018“.
Mit diesem Preis zeichnen wir besondere Bemühungen um die Verweigerung amtlicher Antworten und die Geheimhaltung von Informationen öffentlichen Interesses vor den Bürgerinnen und Bürgern aus.
Die Verleihung
am 27.09.2018 ab 20:00,
im Karl Kraus Saal, Schauflergasse 2 (neben Café Klimt),
1010 Wien
Kommen Sie vorbei!
Dutzende Nominierungen für die Mauer des Schweigens 2018 kamen innerhalb von nur sieben Tagen von engagierten BürgerInnen, JournalistInnen und NGOs. Vielen Dank an alle, die uns Fälle übermittelt haben!
Nominiert werden konnten Fälle, in denen
– österreichische Behörden Auskünfte verweigert
– Informationen von Politik oder Verwaltung zurückgehalten, oder
– öffentliche Kontrolle staatlicher Institutionen durch politische Bemühungen erschwert oder verhindert wurde.
Die Jury
Die Jury entscheidet jetzt über die Preisträger:
- Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt
- Helen Darbishire, Access Info Europe
- Alexander Fanta, Netzpolitik.org
- Julia Herrnböck, Journalistin (Puls4, Dossier.at)
- Arne Semsrott, FragDenStaat.de
- Markus Hametner, Forum Informationsfreiheit
Die Fälle
Auf die Shortlist haben es unter anderem die folgenden Fälle geschafft:
Fall 1: 10-Millionen Euro Auftrag zu Buchhaltungsarbeiten
- Das Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus verweigerte Auskunft zu einem Vertrag im Wert von 10,66 Mio. Euro für Buchführungsarbeiten für den „Grünen Bericht“ der Jahre 2019 bis 2022, der die Sektoren Land- und Forstwirtschaft analysiert. Der Auftrag wurde an die LBG Österreich GmbH Wirtschaftsprüfung & Steuerberatung vergeben – das Unternehmen, das indirekt mehreren Landwirtschaftskammern gehört, war der einzige Bieter.
Fall 2: Statistische Angaben zur Zahl ambulanter Patienten
- Das Bundesministerium für Gesundheit, die Landesgesundheitsdirektionen und Krankenanstaltenbetreiber sahen sich nicht in der Lage, einer Journalistin von Addendum statistische Angaben zur Zahl ambulanten Patienten zu übermitteln („Kostet auch eine Spitalsambulanz Geld?“). Die Daten seien nicht verfügbar, hieß es – obwohl das Ministerium in einem Dokumentationsleitfaden die Sammlung dieser Daten verlangt. Schließlich fand die Journalistin die gesuchten Zahlen in einem nicht-öffentlichen Bericht des Ministeriums – nachdem es geheißen hatte, das Ministerium habe diese Zahlen nicht.
Fall 3: 3,7 Millionen Euro für Bücher und Broschüren – ohne Nachweis und Belege
- Der Presse- und Informationsdienst (PID) der Stadt Wien (MA53) kaufte in den Jahren 2015 und 2016 um rund 3,7 Millionen Euro Bücher und Broschüren bei privaten Verlagen, ergaben Recherchen von Profil und Dossier. Laut Wiener Stadtrechnungshof wurde ein Großteil der Ware wurde jedoch nicht an die Stadt geliefert, schriftliche Belege für die Verteilung fehlen. Die MA 53 weigert sich, Journalisten Auskunft darüber zu erteilen, wie viel Geld die Stadt Wien in den Vorjahren für Bücher ausgegeben hat, und wo diese verteilt wurden. Anfragen von FPÖ und NEOS im Gemeinderat wurden vom zuständigen Stadtrat abgeblockt: Nachforschungen seien „wirtschaftlich nicht gerechtfertigt“.
Fall 4: Was das Umweltministerium vom Entwurf des Standortentwicklungsgesetzes hielt, ist geheim
- Das Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus hat seine Stellungnahme zum umstrittenen Entwurf für das Standortentwicklungsgesetz nicht – wie üblich, jedoch gesetzlich nicht vorgeschrieben – veröffentlicht. Der WWF beantragte die Stellungnahme auf Basis des Umweltinformationsgesetzes. Diese Anfrage blieb nach Verstreichen der Frist unbeantwortet, ein noch laufendes Auskunftsbegehren des Forum Informationsfreiheit erhielt bislang ebenfalls keine Reaktion.
Fall 5: Wasserkraftwerks-Genehmigung: USB-Stick nicht Teil des elektronischen Akts
- Das Land Tirol hat in einem laufenden Genehmigungsverfahren (Wasserkraftwerk Kalersbach) dem WWF, der Parteienstellung und Akteneinsicht hat, Zugang zu digitalen Projektunterlagen verweigert: die Umweltorganisation beantragte die elektronischen Dokumente zum Projekt, um diese durchsuchen zu können und um nicht hunderte Seiten händisch durcharbeiten zu müssen. Die Behörde verweigert laut Ökobüro jedoch die Herausgabe: der USB-Stick mit den entsprechenden Unterlagen sei nicht offiziell Teil des elektronischen Akts, so das Land. Die Frage ist noch nicht abschließend geklärt, Herausgabeanträge sind anhängig.
Fall 6: Detailergebnisse der Innsbrucker Bürgermeisterwahl werden zurückgehalten
- Die Stadt Innsbruck verweigerte auf Anfrage des Journalisten Martin Thür, Sprengelergebnisse der heurigen Bürgermeisterwahl herauszugeben. Abgelehnt wurde die Anfrage mit der Begründung, das Bundesministerium für Inneres verbiete eine Veröffentlichung der Sprengelergebnisse, was das Ministerium zurückwies.
Fall 7: Niederösterreichs Gemeinden verrechnen Gebühren für Anfragen zur Aberkennung des Wahlrechts – ohne klare gesetzliche Grundlage
- Aktivisten des Forum Informationsfreiheit beantragten im Frühjahr bei allen 573 Gemeinden in Niederösterreich statistische Angaben dazu, wie vielen Personen mit Nebenwohnsitz im Vorfeld der letzten Landtagswahl ihr Wahlrecht aberkannt wurde, weil das nach einem neuen Gesetz des NÖ Landtags auf Basis schwammiger Kriterien durch den jeweiligen Bürgermeister plötzlich möglich war. NÖ Gemeindebund (ÖVP) und Gemeindevertreter-Verband (SPÖ) entwarfen ein juristisches Schreiben, mit dem die Auskunft von vielen Gemeinden (teilweise) verweigert wurde, und wiesen die Bürgermeister darauf hin, dass schon allein für die Frage dem Fragenden eine Gebühr zu verrechnen sei. Mehr als 130 Gemeinden verrechneten uns bisher eine solche Bundesgebühr von 14,30 Euro, in einzelnen Fällen auch eine Verwaltungsabgabe. Tatsächlich gibt es keine klare gesetzliche Grundlage für eine solche Bundesgebühr, wenn eine Anfrage im öffentlichen Interesse liegt. Das gesamte Drohpotenzial an Gebühren liegt bei knapp 8.000 Euro. Das für zivilgesellschaftliche Akteure potenziell existenzbedrohende Kostenrisiko konnte nur durch eine Crowdfunding-Kampagne gedeckt werden.
Fall 8: Wer die Staatsbürgerschaft auf Beschluss der Regierung erhält, ist geheim
- Das Bundesministerium für Inneres verweigerte Auskunft zu statistischen Angaben sowie den Namen der Personen, denen in den Jahren 2014 und 2015 die österreichische Staatsbürgerschaft auf Beschluss der Regierung wegen “besonderem Interesse der Republik” verliehen wurde. Für die Jahre 2016 und 2017 wurden die Regierungsbeschlüsse samt Namen auf der Website des Bundeskanzleramts veröffentlicht, für die Jahre 2014 und 2015 falle diese Auskunft unter das Amtsgeheimnis.
Fall 9: Unterlagen aus Vertragsverletzungsverfahren sind vertraulich und können keine Umweltinformationen sein
- Das Bundeskanzleramt verweigert seit Jahren dem Ökobüro die Herausgabe von Unterlagen, die ein gegen Österreich laufendes EU-Vertragsverletzungsverfahren betreffen. Die angefragten Dokumente beschreiben etwa, welche Gebiete rund um das genehmigte Kraftwerk Schwarze Sulm als schutzwürdig oder nicht schutzwürdig befunden wurden. Laut Bundeskanzleramt handle es sich dabei nicht um Umweltinformationen – und falls doch, würde sich die Herausgabe negativ auf das laufende Vertragsverletzungsverfahren auswirken. Der Fall liegt jetzt beim Verwaltungsgerichtshof.
Fall 10: Die Hälfte der österreichischen Gemeinden ignoriert ein Auskunftsbegehren zu bezahlten Sport- und Kulturförderungen
- Die Rechercheplattform Addendum (Markus Hametner, Mitglied des Rechercheteams, ist auch Mitgründer und im Vorstand des Forum Informationsfreiheit) beantragte Auskunft von allen österreichischen Gemeinden, welche Sport- und Kulturförderungen die Gemeinde in den Jahren 2015, 2016 und 2017 vergeben hat. Anders ist es in Österreich nicht möglich zu erfahren, wen welche Gemeinde in welcher Höhe fördert. Rund die Hälfte der Gemeinden verhielt sich klar gesetzeswidrig und reagierte überhaupt nicht auf die Anfrage.