Wie die Stadt Wien eine Auskunftserteilung zur Farce werden lässt

Markus »fin« Hametner

"Besonders wichtig für ein Transparenzgesetz im 21. Jahrhundert: die Verfügbarkeit von Originaldaten in maschinenlesbarer Form. Niemand sollte mit dem Scannen von tausenden Seiten Zeit verschwenden müssen."

Nach zwei Niederlagen vor Österreichs höchstem Verwaltungsgericht lenkt Wiens Verwaltung scheinbar ein und zeigt uns die Informationen, die sie seit Jahren zurückhält. Oder auch nicht. Ein Erfahrungsbericht über eine Frotzelei auf ganz hohem Niveau, über die auch Die Presse (etwas kompakter) berichtet hat.

Es hat fünf Jahre, zwei Monate und 26 Tage (oder 1911 Tage aber wer zählt schon mit) und mehrere Gerichtentscheidungen gedauert, bis ich endlich einen Blick auf das werfen durfte, das ich am 19. Oktober 2016 bei der Stadt Wien angefragt hatte: die Einsparungsvorschläge der Bediensteten der Stadt. Was das Ende eines langen Streits hätte werden können, war am Ende aber einmal mehr ein Zurschaustellen der eigenen Macht und was die Stadt Wien von einer transparenten Verwaltung hält. Denn: als ich anfing, sie zu fotografieren, wurden sie mir wieder weggenommen und der Termin beendet.

Aber dazu später mehr.

Der Hintergrund: Das Versprechen von Millionen Euro Einsparungen

Zuerst die Vorgeschichte: 2016 gibt Bürgermeister Michael Häupl eine Pressekonferenz, oder er lässt nur eine Presseaussendung verschicken – so genau habe ich es nicht rekonstruiert. Jedenfalls lässt er sich zitieren, dass „tabulos“ diskutiert werden soll. Denn nach einem Aufruf seien knapp 1.200 Vorschläge zu Einsparungsmöglichkeiten der Stadt von ihren MitarbeiterInnen eingegangen. Insgesamt 100 Millionen Euro könnten so über mehrere Jahre eingespart werden, sagt der Bürgermeister.

Natürlich bin ich daran sehr interessiert, Transparenz ist ja kein Selbstzweck, sondern das beste Mittel gegen Korruption und das Verschwenden von Steuergeldern. Und wenn die Stadt Wien sogar eine Pressekonferenz dazu gibt, müssten das eigentlich Informationen sein, die Wiens Regierung veröffentlicht haben will, sollte man meinen. Ich frage also: was waren die Vorschläge im Wortlaut? Eine “tabulose” Diskussion der Ideen ist nicht möglich, wie ich erfahren werde.

Die erste Anfrage wird mir zurückgeworfen. Ich hätte sie “mutwillig” gestellt und das müsse sich eine Behörde nicht gefallen lassen. Es folgt ein jahrelanges Hin und Her, in dem ich zuerst erklären muss, wieso Einsparungsmöglichkeiten von mehreren Millionen Euro im öffentlichen Interesse sind und erkämpfen muss, was “vollinhaltlich” bedeutet. Aktueller Stand: zwei höchstinstanzliche Urteile zu meiner Gunsten.

Hier sollte die Geschichte eigentlich vorbei sein: Die Stadt hat mehrere Gerichtsverfahren verloren, ihr wurde beschieden, den Zugang zu den 1.200 Vorschlägen rechtswidrig verweigert zu haben. Nur tut sie es einfach nicht. Sie verpasst wieder einmal die Auskunftsfrist – zu meinem Nachteil.

Der erste Besuch im Magistrat Finanzwesen

Womit wir endlich beim 11. Jänner 2022 wären: Ich hatte einen Termin zur Akteneinsicht beantragt, weil ich wissen wollte, was seit der letzten Entscheidung des Höchstgerichts intern passiert ist. Bei der Gelegenheit werde man auch gleich die Auskunft zur Anfrage selbst erteilen, wurde uns im Vorfeld gesagt: also die Vorschläge aus 2016!

Auf geht’s zur MA 5 – Finanzwesen, die ihren Sitz nicht einmal im Rathaus hat, sondern ums Eck neben einem Fitnesscenter. Ich fahre zur Sachbearbeiterin in den sechsten Stock, werde freundlich begrüßt und bekomme sogar Wasser und Kaffee angeboten. (Es gibt auch den notwendigen 2G-Check.)

In einem Raum liegen auch schon die zwei Aktenordner – der Verfahrensakt zur Anfrage “Einsparungsvorschläge der Stadt Wien”. Ich darf sogar Fotos machen. Nur fehlt darin jedwede Dokumentation über die internen Abläufe und Entscheidungsfindungen in dem Fall – ein Thema für sich, denn Akte sind eigentlich dazu da, Entscheidungen nachvollziehbar zu machen. Ein Problem für ein anderes Mal. Die Vorschläge selbst sind auch nicht im Akt.

Können ja, dürfen nein

Der Verfahrensakt ist fertig durchgeblättert, die Zeit für die „Auskunftserteilung“ ist gekommen: Ich bekomme endlich meine Finger an die Einsparungsvorschläge der Stadt-Wien-Bediensteten. Die Sachbearbeiterin und ein Kollege, die die ganze Zeit auf mich aufpassen, bringen zwei Stöße Papier. Jeder fast zehn Zentimeter hoch, mehrere Kilo schwer und voller loser Blätter Papier, die von zwei Pappdeckeln und Stoffbändern zusammengehalten werden. Man habe die zwei Stapel erst suchen müssen, selber arbeite man natürlich mit digitalen Versionen, immerhin hätten die zwei Stapel wohl um die 2.000 Blatt Papier, so die Sachbearbeiterin. Ein Sickerwitz, wie ich wenig später herausfinden werde.

Die Beamtin verbietet mir nämlich zu fotografieren – beim Akt durfte ich noch, bei der „Auskunftserteilung“ nicht mehr. Kopieren dürfe ich auch nicht und mit nach Hause nehmen sowieso nicht. Außerdem müsse sie in einer Stunde gehen. 

Geschlossen durfte ich die Aktenstapel noch fotografieren

1.148 Vorschläge auf geschätzten 2.000 Seiten und 60 Minuten Zeit. Also nicht mal zwei(!) Sekunden(!!) pro Seite(!!!) – allen Personen im Raum ist klar, dass das nicht machbar ist. Und auch nicht als Auskunftserteilung durchgehen kann, immerhin handelt es sich – Höchstrichterlich bestätigt – um Informationen im öffentlichen Interesse. Das hat das Gericht so festgestellt. Sie sind also nicht nur zum Anschauen da, sondern auch zum damit Arbeiten.

Was passiert, wenn ich trotzdem Fotos mache, will ich wissen. Dann werden die Stöße weggeräumt und der Termin beendet, meint die Beamtin.

Ob es denn gesetzlich verboten sei, Dokumente zu fotografieren oder mitzunehmen, ist die nächste Frage. Verboten sei es nicht, meint ihr Kollege. Es wurde intern aber so mit dem Finanzdirektor abgesprochen, ergänzt die Sachbearbeiterin. (Eine spätere Online-Recherche ergibt: sein Name ist Dietmar Griebler, er wird am 1. Juli zum höchsten Beamten der Stadt – zum Magistratsdirektor – befördert.)

Der könne seine Meinung doch wieder ändern, wenn man anruft und erklärt, dass so keine sinnvolle Auskunft erteilt werden kann, ist mein (doch recht konstruktiver) Vorschlag. Nein, sagt die Beamtin.

Ich habe wenig Möglichkeiten: entweder ich eskaliere die Situation und lasse mich rausschmeißen oder ich sichte was zu sichten ist. Ich mache also weiter und wundere mich um die außerordentlich vielen Anregungen zum Thema Essensmarken. Statt Essensmarken und rückerstatteten Einzeltickets der Wiener Linien, hätten manche lieber eine Jahreskarte. Doch das würde Mehrkosten von ungefähr 21 Millionen Euro verursachen, rechnet eine Stelle vor. Wer anderes möchte statt den Essensmarken, die jährlich um 38.000 Euro gedruckt werden müssen, lieber ein Punktesystem auf der Personalkarte.

Mehr erfahre ich an diesem Nachmittag nicht, denn meine Zeit ist um. Es gibt noch kurze Diskussionen über das Protokoll meines Ausflugs zur MA 5 und am Ende frage ich noch nach dem nächsten Termin, die Arbeit hat ja gerade erst begonnen.

Die Sachbearbeiterin muss erst Rücksprache halten. Die Schikane der Stadt Wien geht damit in die nächste Runde. Aber wer schon 1911 Tage gewartet hat, hält das auch noch ein paar Tage länger aus.

Zwei Mal ansehen und aus

Der nächste Termin lässt auf sich warten – dreieinhalb Wochen allein bis zur ersten Rückmeldung mit Terminvorschlägen, ich vereinbare den 18.2 – der krankheitsbedingt am Tag davor abgesagt wird. Nächster Versuch: 23. März. Zwei Tage zuvor: Absage, Corona. Die Sachbearbeiterin kann – oder will – sich nicht vertreten lassen. Drei Wochen später kommen die nächsten Terminvorschläge – aber erst nach Nachfrage. Vereinbart wird der 5. Mai.

Beim zweiten Termin das gleiche Spiel. Ich frage noch, ob sich die Rechtsmeinung der MA5 mit dem neuen Chef ändern wird – der Finanzdirektor wird am 1. Juli zum Magistratsdirektor befördert – aber wer der neue Chef wird, sei noch nicht entschieden. Das Vorgehen sei aber mit dem Noch-Finanzdirektor „abgesprochen“. Ich habe in der Zwischenzeit gerechnet – allein um die Vorschläge zu sichten brauche ich 2 Minuten pro Vorschlag – insgesamt also etwa 40 Stunden. Ich bitte die Sachbearbeiterin um diese Menge an Terminen und bekomme erklärt, dass der zweite, aktuelle Termin sowieso der letzte sein werde.

Ich habe also nichts mehr zu verlieren – und beginne, fast sechs Jahre nach meiner Anfrage und nach zwei Hochstgerichtsentscheidungen in meinem Sinne, zu fotografieren. Zur allgemeinen Unverständnis der Beamten, die enttäuscht die Zettel wegnehmen, den Termin beenden und sich noch ein Protokoll unterschreiben lassen.

Es hat sich nach Majestätsbeleidigung angefühlt. Und ich glaube, das war beabsichtigt.


Welche Gründe nicht mehr gegen eine Übermittlung dieser Daten sprechen können

Datenschutz: Keines der Dokumente, die ich in der kurzen Zeit sichten konnte, war auf irgendeine Art geschwärzt. Wenn die Behörde zum Schluss kam, dass ich diese Informationen sehen darf, dürfen dies alle anderen „public watchdogs“ – Blogger, JournalistInnen, Wissenschafter – auch sehen. Der Datenschutz kann also nicht mehr gegen eine Übermittlung der Informationen sprechen. Damit würde die Stadt Wien zugeben, dass sie den Datenschutz schon verletzt haben.

Aufwand: Zu bedenken ist, dass zu meiner „Bewachung“ zwei Personen abgestellt waren. Etwa fünf Personenstunden wurden allein damit verbracht zu verhindern, dass die Informationen abfotografiert werden. In der Zeit hätte jemand leicht ein Email schicken können – oder die Infos zur Post bringen, oder sie sogar vorher einscannen. Es ist davon auszugehen, dass die Stadt Wien Zugang zu Büromaschinen wie Scannern mit Dokumenteneinzug hat. Außerdem meinten die Sachbearbeiter:innen, dass man intern mit digitalen Kopien arbeite. Es gibt also wohl schon ein fertiges PDF, das man zur Auskunftserteilung verschicken könnte. Und: die vielen Personenstunden, die die Stadt Wien in die Bekämpfung des Auskunftsbegehrens vor Gericht investiert hat, zählt natürlich niemand.

Es sind interne Informationen: Der Grund ist schon mit der ersten Höchstgerichtsentscheidung gefallen. Was in Behörden vorgeht darf mich interessieren und ist grundsätzlich zu beauskunften.

Die Anfrage war „mutwillig“: Dieser Verweigerungsgrund auch. Der Verwaltungsgerichtshof sah keine Mutwilligkeit, sonst hätte ich die Verfahren verloren und nicht zweimal gewonnen.

Die Informationen sind nicht vorhanden: Doch sind sie. Ich habe sie selbst in Händen gehalten.

Nicht zur Veröffentlichung bestimmt: Das Argument kommt oft Hand in Hand mit dem Verweis auf “interne Informationen” und ist ein Stehsatz für Informationskontrolle – aber keine rechtliche Basis, aufgrund der Informationen verweigert werden dürfen. Also verweise ich noch einmal auf das Höchstgericht, das mir hier Recht gibt.

Ich habe einen Bescheid über die abermalige Auskunftsverweigerung verlangt.