Amtsgeheimnis-Award „Mauer des Schweigens 2022” für FPÖ-Ex-Sozialministerin Hartinger-Klein, Land Tirol und Wirtschaftsministerium

Mathias Huter

Beschäftigt sich mit Transparenz, Open Data und Anti-Korruption, interessiert sich besonders für Parteienfinanzierung und Beschaffungen. Von 2009 bis 2014 für Transparency International Georgia in Tiflis tätig.

Intransparenz-Preise anlässlich des Tags der Informationsfreiheit – Goldener Informationsfilter an Wiener Bürgermeister Ludwig

Wien, 29. September 2022 – Anlässlich des 20. internationalen Tags der Informationsfreiheit – dem Right to Know-Day – hat das Forum Informationsfreiheit (FOI) den Amtsgeheimnis-Award „Die Mauer des Schweigens“ für „besondere Verdienste um die Verweigerung amtlicher Antworten“ vergeben.

Mit dem ersten Platz ausgezeichnet wurde das Kabinett der früheren FPÖ-Sozialministerin Beate Hartinger-Klein für den Missbrauch des Staatsarchivs zur Geheimhaltung von Beratungsverträgen über mehr als 10 Millionen Euro, die nun für 25 Jahre versiegelt sind.

Der zweite Platz ging an das Land Tirol für ein anonymes und intransparentes Fachkuratorium zu Abschüssen von Wölfen, der dritte Negativ-Preis ging an Wirtschaftsministerium für die Geheimhaltung der Nutzerzahlen des „Kaufhaus Österreich“ und das Ignorieren entsprechender Journalistenanfragen.

Der „Goldene Informationsfilter“ geht an den Wiener Bürgermeister Michael Ludwig für die monatelange Geheimhaltung von freihändig vergebenen Krediten in Höhe von 1,75-Milliarden-Euro der Stadt an die Wien Energie ohne entsprechende Information.

Mit dem Negativ-Preis „Mauer des Schweigens“ weist die Bürgerrechts-Organisation jährlich auf die inakzeptable Praxis der Geheimhaltung von Informationen öffentlichen Interesses vor den Bürgerinnen und Bürgern hin. Nominiert werden konnten alle Fälle, bei denen österreichische Behörden Auskünfte verweigert haben, Informationen von Politik oder Verwaltung zurückgehalten wurden, oder öffentliche Kontrolle staatlicher Institutionen durch politische Bemühungen erschwert oder verhindert wurde.

Positive Entwicklungen

Zu erwähnenswerten positiven Transparenz-Entwicklungen zählt das FOI Beauskunftungen von einigen politisch sensiblen Anfragen: darunter die Spesen-Abrechnungen der Abgeordneten durch die Parlamentsverwaltung – eine Anfrage, die vor 10 Jahren abgelehnt worden war und zur Gründung der Initiative Transparenzgesetz.at beigetragen hatte – sowie die Beauskunftung aller Empfänger von Corona-Hilfen aus dem NPO-Fonds durch das Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport.

Ein kleiner Schritt in die richtige Richtung könnte auch eine kürzlich beschlossene Veröffentlichungspflicht von Studien, Gutachten und Umfragen der öffentlichen Hand ab Anfang 2023 sein. Jedoch bietet diese neue im Bundes-Verfassungsgesetz verankerte Regelung keine Kontroll- und Durchsetzungsmöglichkeiten; eine Veröffentlichung ist jedoch nur verpflichtend, soweit das Amtsgeheimnis nicht greift.

20 Jahre Right to Know Day

Markus Hametner und Mathias Huter von Forum Informationsfreiheit mit den Amtsgeheimnis-Awards

Seit 20 Jahren macht die Zivilgesellschaft am 28. September, dem „Right to Know“-Day international auf die inakzeptable Praxis der Geheimhaltung von Informationen öffentlichen Interesses vor Bürgerinnen und Bürgern aufmerksam. Der Tag wird mittlerweile auch von den UNESCO als „International Day for Universal Access to Information“ zelebriert.

Das Forum Informationsfreiheit setzt sich für ein BürgerInnen-Recht auf Zugang zu staatlicher Information sowie für Transparenz in Politik und Verwaltung ein und vergibt jährlich die „Mauer des Schweigens“. Viele der nominierten Fälle stammen aus dem Anfrageportal des Forum Informationsfreiheit, FragDenStaat.at.

Alle Informationen, Hintergründe sowie Mauer-Preisträger der letzten Jahre gibt es hier.

Die Preisträger 2022

  1. Platz: FPÖ-Ex-Sozialministerin Beate Hartinger-Klein und ihr Kabinett

„für die kreative Nutzung des Staatsarchivs zur strategischen Geheimhaltung“

Wie das Nachrichtenmagazin Profil kürzlich berichtete, vergab das Kabinett 2018 ohne Einbindung der Fachsektionen einen 11-Millionen-Beratungsauftrag, den die ÖGK bezahlen musste. Statt die Vergabe ordentlich nachvollziehbar zu dokumentieren wurden alle Informationen dazu mit anderen Kabinettsakten an das Staatsarchiv übergeben – wo sie für 25 Jahre versiegelt sind. Nicht einmal der Rechnungshof dürfte auf diese relevanten Unterlagen Zugriff erhalten haben.

“Das Staatsarchiv darf nicht zur strategischen Geheimhaltung missbraucht werden. Sollte die Gesetzeslage dies aktuell ermöglichen, muss diese Lücke durch gesetzliche Anpassungen geschlossen werden” sagt Mathias Huter, Vorsitzender des Forum Informationsfreiheit.

  1. Platz: Das Land Tirol 

„für die Errichtung eines anonymen, intransparenten Fachkuratoriums zu Abschüssen von Wölfen, das eine kritische öffentliche Diskussion untergräbt“

In Tirol berät seit dem Vorjahr ein fünfköpfiges „Fachkuratorium Wolf-Bär-Luchs“, dessen Mitglieder per Tiroler Jagdgesetz anonym bleiben, in geheimen Sitzungen, wann und wo ein Wolf abgeschossen werden soll – obwohl diese EU-rechtlich streng geschützt sind. Die Intransparenz des von der Landesregierung eingerichteten Gremiums erschwert sowohl den Medien als auch der interessierten Öffentlichkeit eine kritische Einordnung und Diskussion der Entscheidungen, wie Dolomitenstadt berichtete.

Zwar werden „Beschlussprotokolle“ veröffentlicht, nicht jedoch wer konkret die Entscheidungen getroffen hat, mit welcher Mehrheit entschieden worden ist oder ob es abweichende Meinungen gab. Dazu kommt die rechtliche Fragwürdigkeit: Denn Ausnahmen vom EU-rechtlich verankerten Artenschutz sind laut der bisherigen Judikatur des Europäischen Gerichtshofs und gemäß der heimischen Rechtsprechung nur nach einer genauen Einzelfallprüfung sowie nach Ausschöpfung gelinderer Mittel zulässig. 

  1. Platz: Das Wirtschaftsministerium

„für die Geheimhaltung der Zugriffszahlen des sogenannten Kaufhaus Österreich – und die Mauer des Schweigens, die dazu im Verfahren gelebt wurde“

Journalist Max Werner fragte Anfang 2021 die Zugriffszahlen der Website „Kaufhaus Österreich“ an. Er erhielt „keine Rückmeldung, keinen Bescheid, keine Mail und keine Reaktion auf seine Säumnisbeschwerde“ auf seine Anfrage und seine Nachfragen. Selbst die Säumnisbeschwerde wurde vom Ministerium nicht – wie vorgeschrieben – an das Verwaltungsgericht weitergeleitet.

„Es geht nicht, dass Anfragen, die vielleicht zu für politische Entscheider unangenehmen öffentlichen Diskussionen führen könnten, einfach ignoriert werden“ sagt Mathias Huter zu diesem Fall. Das Auskunftspflichtgesetz schreibt eindeutig vor, dass Anfragen spätestens nach acht Wochen zu beantworten sind. Für die journalistische Arbeit ist die Einhaltung dieser – viel zu langen – Fristen besonders wichtig. 

Goldener Informationsfilter an den Wiener Bürgermeister Michael Ludwig

„für die Geheimhaltung zweier 700-Millionen Kredite, die der Bürgermeister an die Wien Energie vergab“

Der Wiener Bürgermeister hatte im Sommer Kredite über 700 Millionen Euro der Stadt an die Wien Energie genehmigt – in der Höhe fast eines Zehntels des letztjährigen Stadtbudgets. Das laut Wiener Stadtverfassung unverzüglich zu informierende Gemeinderatsgremium hätte erst zwei Monate danach davon erfahren sollen. Die Bürger – aufgrund deren Steuergeld Kredite gegeben wurden – wurden erst recht nicht informiert. Obwohl die Stadt selbst Medien herausgibt und großflächig Inserate schaltet – und in dieser Zeit über Projekte informierte, die einen viel geringeren Teil des Stadtbudgets betreffen.

Während Ludwig sich in öffentlichen Statements zu Transparenz bekennt, agiert die Stadt Wien nicht nur in diesem Bereich höchst intransparent und verhindert öffentlichen Zugang zu angefragten Informationen.

Mauer des Schweigens 2022: Die Nominierten

Wir haben auch dieses Jahr zahlreiche Fälle als Nominierungen erhalten bzw. aus Medienberichten entnommen. Drei weitere Fälle, die es nicht auf das Stockerl geschafft haben, wollten wir Ihnen nicht vorenthalten.

BMSGPK: Schweigen über die fachlichen Begründungen für Covid-Verordnungen

Journalist Maximilian Werner beantragte beim Gesundheitsministerium die Übermittlung der fachlichen Begründungen für diverse Covid-Verordnungen, um die Covid-Maßnahmen aus journalistischer Sicht zu überprüfen.

Laut seiner Schilderung ignorierte das Ministerium seinen Antrag über acht Monate lang und wies ihn dann mit einer schwammigen Begründung ab. Die fachlichen Begründungen für Freiheitseinschränkungen würden nur „der internen Dokumentation der zentralen Entscheidungsgrundlagen im Verordnungsakt“ dienen, weswegen das österreichische Ministerium unter anderem auf Zahlen des US-amerikanischen CDC verwies.

BMF: Schweigen zur Betrauung von Staatssekretär Tursky

Die Frage ist eigentlich einfach: Wofür ist Staatssekretär Florian Tursky konkret zuständig, und wann wurde er mit diesen Aufgaben betraut? Auch sechs Wochen nach einer Anfrage an das Bürgerservice des Finanzministeriums hatte Medienrechtler und Verwaltungsrichter Hans Peter Lehofer noch keine Antwort erhalten, wie er auf Twitter erwähnte.

Das ist ein Problem, denn die Bevölkerung sollte wissen dürfen, wer für welche Bereiche eines Hauses verantwortlich ist – und schlussendlich auch die politische Verantwortung trägt. Da die Digitalagenden erst Monate nach dem Digitalisierungsstaatssekretär (Selbstdefinition) in den Verantwortungsbereich des Finanzministerium umgesiedelt wurden, dürfte die Beantwortung der Anfrage allerdings kompliziert werden.

AMS: Für die Forsetzung der Intransparenz rund um den AMS-Algorithmus

Auch zwei Jahre nach Enthüllung der Pläne eines AMS-Algorithmus, der Kandidat:innen automatisiert in Gruppen eingeteilt hätte, kritisieren NGOs wie Epicenter.works, dass AMS und Arbeitsministerium abseits einer Studie keine technischen und rechtlichen Informationen zu diesem System zur Verfügung stellen, Fragen dazu nicht beantworten und sich keinen öffentlichen Diskussionen stellen. Einer Einladung an Bundesminister Martin Kocher sowie AMS-Vorstand Johannes Kopf zu einer öffentlichen Panel-Diskussion kamen beide nicht nach.