„Mauer des Schweigens 2023” geht an Stadt Wien, Vorarlberger Bürgermeister, Rust und Burgenland
Intransparenz-Preise anlässlich des Tags der Informationsfreiheit – Goldener Informationsfilter an die Oberösterreichische Landesregierung
Wien, 28. September 2023 – Anlässlich des 21. Internationalen Tags der Informationsfreiheit – dem Right to Know-Day – hat das Forum Informationsfreiheit (FOI) den Amtsgeheimnis-Award „Die Mauer des Schweigens“ für „besondere Verdienste um die Verweigerung amtlicher Antworten“ vergeben.
Die Stadt Wien erhält den ersten Preis für die schikanöse Behandlung einer Anfrage des Grätzl-Blattes zu einer Verkehrsstudie im Volkertviertel – inklusive Inseratenentzug gegen das ehrenamtliche Blatt und Strafdrohung an einen recherchierenden Journalisten. Der Bürgermeister von Fraxern erhält stellvertretend für zahlreiche weitere Vorarlberger Bürgermeister den zweiten Preis für seine Auskunftsverweigerung zur Verwendung von Steuergeld – für sein Gehalt. Das Burgenland und die Stadt Rust erhalten den dritten Preis für die Verhinderung der Veröffentlichung von Gemeinderatsprotokollen auf der Homepage, obwohl der Gemeinderat diese Veröffentlichung beschlossen hat.
Den goldenen Informationsfilter erhält die Regierung des Landes Oberösterreich, die seit geraumer Zeit die Veröffentlichung von Video-Aufzeichnungen von Gemeinderatssitzungen verhindert, statt die Gemeindeordnung anzupassen.
Mit dem Negativ-Preis „Mauer des Schweigens“ weist die Bürgerrechts-Organisation jährlich auf die inakzeptable Praxis der Geheimhaltung von Informationen öffentlichen Interesses vor den Bürgerinnen und Bürgern hin. Nominiert werden konnten alle Fälle, bei denen österreichische Behörden Auskünfte verweigert haben, Informationen von Politik oder Verwaltung zurückgehalten wurden, oder öffentliche Kontrolle staatlicher Institutionen durch politische Bemühungen erschwert oder verhindert wurde.
Erster Preis: Stadt Wien
„für die schikanöse Behandlung einer Journalisten-Anfrage, inklusive Androhung einer Mutwilligkeitsstrafe und Inserate-Entzug“
Das Volkertviertel nahe des Praters in Wien ist Gegenstand einer Pilotstudie, in der die Verkehrsabteilung der Stadt Wien die Wünsche der Bewohner:innen für ein dort zu errichtendes „Supergrätzel“ sammeln ließ. Das Supergrätzel ließ auf sich warten, die Studie blieb unter Verschluss. 2021 begehrte ein Redakteur des ehrenamtlichen „Grätzl-Blattl“ die Übermittlung der Studie. Es folgen Ausflüchte: Zuerst wolle man sie nicht veröffentlichen, dann sei die Studie noch nicht fertig gewesen und am Ende standen sogar Geschäftsgeheimnisse einer Veröffentlichung im Weg. Das Grätzl-Blattl bleibt trotz verweigerten Bescheiden und nicht ans Gericht weitergeleiteten Säumnisbeschwerden am Ball. In einer Gerichtsverhandlung kündigt der Bezirksvorsteher an, dass die Studie übergeben werden wird, die Stadt macht aber einen Rückzieher und bietet nur eine „Ergebnispräsentation“ ohne Studie an. Weil der Redakteur auf der vereinbarten Übergabe besteht, droht ihm die Stadt Wien mit einer Mutwillensstrafe. Das Verwaltungsgericht entscheidet schlussendlich: Der Redakteur hat Recht und soll die Studie bekommen, die Stadt Wien geht mit einer Amtsrevision zur höheren Instanz.
Nach zwei Berichten über die skurrile Verschlussakte im Newsletter „Falter.morgen“ erhält das Grätzl-Blattl plötzlich die ganze Studie. Ohne Schwärzungen. Obwohl der Fall noch beim Höchstgericht lag. Ende gut, alles gut?
Nicht ganz. Einmal mehr zeigt dieser Fall, wie unsouverän die Stadt Wien mit Journalisten umgehen kann: Bezirksvorsteher Alexander Nikolai drohte schon 2021, dass der Bezirk in Zukunft keine Inserate mehr im Grätzl-Blattl schalten werde. Als der Journalist das Angebot, eine Präsentation statt der Studie zu erhalten, nicht annahm, wurde ihm eine Mutwillensstrafe angedroht. Stadt und Bezirk konnten jahrelang eine politisch ungewollte Diskussion verhindern – und ohne Konsequenzen Gericht und Journalisten einen ungeheuren Aufwand aufbürden.
Zweiter Preis: Steve Mayr, Bürgermeister von Fraxern, stellvertretend für weitere Bürgermeister:innen
„für das Geheimhalten der Verwendung von Steuergeld: ihrer von der Gemeinde festgelegten Gehälter“
Man möchte meinen, es sei eine Selbstverständlichkeit, dass Bürger:innen von Gemeinden erfahren, wie viel der gewählte Bürgermeister:innen verdient. Nicht so in Vorarlberg. Dort wollten die Vorarlberger Nachrichten wissen, wie viel Gemeinden ihren Bürgermeistern überweisen und sind bei einigen Gemeinden auf Unverständnis gestoßen. Eigentlich sollten die Bezüge-Verordnungen von den Gemeinden proaktiv veröffentlicht werden, doch mehrere Gemeinden verstoßen gegen diese Veröffentlichungspflicht – straflos. Die VN mussten daraufhin selbst rechnen, kamen aber bei mehreren Gemeinden wegen Anpassungen und Nullrohnrunden zu keinem eindeutigen Ergebnis. Eine Unsicherheit, die einige Bürgermeister trotz mehrmaliger Nachfragen nicht aufklärten.
Die „Mauer des Schweigens“ erhält Fraxens Bürgermeister Steve Mayr stellvertretend für alle Bürgermeister:innen in Vorarlberg, die ihre Bürger:innen über ihre tatsächlichen Bezüge im Unklaren lassen und ihre Veröffentlichungspflichten ignorieren. Mayr, der auch im Landtag sitzt, warf den recherchierenden VN „Hetze gegen Politiker Gehälter“ vor – wegen der Frage, wie viel Steuergeld genau an ihn fließt. Diese Einstellung ist symptomatisch für das immer noch fest verankerte Amtsgeheimnis in der österreichischen Verwaltung.
Die Preisträger zeichnen sich besonders dadurch aus, dass sie eine Auskunft verweigern, die zahlreichen in anderen Gemeinden kein Problem war, teilweise schon „nach wenigen Minuten“ erteilt wurde und deren Berechnungsgrundlage proaktiv zu veröffentlichen wäre.
Dritter Preis: Amt der Burgenländischen Landesregierung & Stadt Rust
„Für die Verhinderung der Umsetzung eines Gemeinderatsbeschlusses, laut dem Gemeinderatsprotokolle auf der Website zu veröffentlichen sind“
Die Freude war groß: die Protokolle der öffentlichen Teile von Gemeinderatssitzungen in der Freistadt Rust sollen auf der Homepage veröffentlicht werden. Die Geschäftsordnung wurde mit Zustimmung aller Parteien geändert – eine absolute Seltenheit. Seither gab es laut den Einreichern sechs Sitzungen und noch kein einziges Protokoll auf der Homepage. Der Grund: Datenschutzbedenken. Der Bürgermeister habe beim Land nachfragen lassen und erfahren: eine Gemeinderatssitzung sei „publikumsöffentlich, nicht aber internetöffentlich“. Die zuständige Abteilung spricht sich laut dem Bürgermeister dagegen aus, dass ein vollumfängliches Protokoll veröffentlicht wird, eine Kurzzusammenfassung würde reichen. Ebenso ein Hinweis, dass das Protokoll im Rathaus aufliegt. Nur das vollständige Protokoll geht für das Landesamt nicht in Ordnung.
Sollten tatsächlich Datenschutzbedenken bestehen, könnten diese auch durch teilweise Schwärzung der Protokolle ausgeräumt werden – das wäre wohl auch weniger Aufwand, als eine eigene Zusammenfassung zu fertigen. Stattdessen werden der Bevölkerung auch jene Teile der Protokolle vorenthalten, bei denen es keinerlei Datenschutz-Bedenken gibt. Das verdient eine Mauer.
Goldener Informationsfilter: Land OÖ – Gemeindeordnung
„für die Unterbindung der Veröffentlichung von Gemeinderatssitzungs-Videos“
Seit geraumer Zeit erhalten Gemeinden in Oberösterreich laut der Initiative „mehr demokratie!“ vom Amt der Landesregierung die Auskunft, Gemeinden dürfen Gemeinderatssitzungen zwar live im Internet übertragen, dauerhaft abrufbare Videos der Sitzungen dürfe eine Gemeinde aber nicht veröffentlichen. Dafür sei nämlich anders als im Fall von Parlamenten und Landtagen eine Rechtsgrundlage nötig, die Oberösterreichische Gemeindeordnung sehe das aber nicht vor. Das Gesetz, das die Zurverfügungstellung von Videos nicht explizit erlaubt, stammt aus 1990, lange bevor das technisch möglich war. Diese Rechtsansicht hat die absurde Auswirkung, dass Zuschauer Videos von Gemeinderatssitzungen veröffentlichen dürfen, die Gemeinde selbst aber nicht.
Die Regierungsparteien in Oberösterreich könnten diese Gemeindeordnung jederzeit anpassen und damit die Veröffentlichung von Videos der öffentlichen Sitzungen explizit erlauben, wie sie es schon 2018 taten, um explizit Livestreams aus Gemeinderatssitzungen zu ermöglichen. Ein Entwurf, der diesen Missstand behebt, ist bisher jedoch noch nicht bekannt.
Erwin Leitner von „mehr demokratie!“ betont in seiner Einreichung die Auswirkungen dieser Rechtsansicht: „Wie können wir junge Menschen für die Demokratie begeistern, wenn sie zwar täglich am Smartphone zahllose Videos ansehen können, aber nicht solche, in denen wichtige Entscheidungen in ihrer Gemeinde gefällt werden?“
Mauer des Schweigens 2023: Die Nominierten
Die Umsetzung der proaktiven Veröffentlichungspflicht in den Ministerien: Monatelang veröffentlichten Ministerien gar keine Studien. Gleichzeitig fanden sie Wege, die Veröffentlichungen hinauszuzögern. Längst fertige Studien werden etwa erst dann veröffentlicht, wenn sie auch abgerechnet sind. Manche Ministerien haben bis jetzt nicht einmal ihre Webseite für diese Veröffentlichungen vorbereitet.
Das Gutachten des Wirtschaftsministeriums, mit der die fragwürdige Reihung einer Besetzungskommission öffentlich gerechtfertigt wurde. Das Wirtschaftsministerium verwies gegenüber Medienvertretern mehrfach auf diese Studie und begründete so seine Entscheidung, die Bundeswettbewerbsbehörde mit einem Richter des Bundesverwaltungsgerichts zu besetzen. Doch über die Inhalte der Studie will das Ministerium lieber schweigen. Eine Anfrage des Forum Informationsfreiheit in dieser Causa wurde nicht beantwortet, eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts steht aus.
Die ORF-Pressestelle, die konkrete Fragen hinsichtlich der Ukraine-Berichterstattung des ORF nicht beantwortet hat. Der recherchierende Journalist erhielt nur eine Rückmeldung, die er als „vorgefertigtes Statement“ bezeichnet, das seine Fragen „nicht einmal tangierte“.
21 Jahre Right to Know Day
Seit 21 Jahren macht die Zivilgesellschaft am 28. September, dem „Right to Know“-Day international auf die inakzeptable Praxis der Geheimhaltung von Informationen öffentlichen Interesses vor Bürgerinnen und Bürgern aufmerksam. Der Tag wird mittlerweile auch von den UNESCO als „International Day for Universal Access to Information“ zelebriert.
Das Forum Informationsfreiheit setzt sich für ein BürgerInnen-Recht auf Zugang zu staatlicher Information sowie für Transparenz in Politik und Verwaltung ein und vergibt jährlich die „Mauer des Schweigens“. Viele der nominierten Fälle stammen aus dem Anfrageportal des Forum Informationsfreiheit, FragDenStaat.at.