Österreich verletzt die Informationsfreiheit und verstößt damit gegen die Menschenrechte
Dass Österreich manchmal Impulse von außen braucht, um auch hierzulande international längst selbstverständliche Standards zuzulassen, ist traurig – aber immer noch wahr. Privatradio und Privatfernsehen verdanken wir etwa dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der das damalige Rundfunkmonopol im Jahr 1993 als verfassungswidrig eingestuft hat.
Und gestern fiel in Strassburg eine Entscheidung, die für Österreich sogar noch von wesentlich weitreichender Bedeutung sein könnte, als viele bisherigen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat gestern entschieden, dass Österreich Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonferenz (EMRK) verletzt und damit gegen die Menschenrechte verstößt. Denn das Recht auf Information ist klar mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung verknüpft.
Was war passiert?
Eine Tiroler NGO hat von der Tiroler Landesgrundverkehrskommission Zugang zu ihren Entscheidungen verlangt, war aber am sogenannten Tiroler “Auskunftspflichtgesetz” und in weiterer Folge an den österreichischen Gerichten gescheitert. Selbst der österreichische Verfassungsgerichtshof interpretierte, dass Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention kein Recht auf Zugang zu Information garantiere.
Die Tiroler NGO beschwerte sich über eine derartige Rechtsauffassung beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Und dieser sieht das – wie gestern bekannt wurde – komplett anders: Denn nicht nur die Presse, sondern auch NGOs, erfüllen in einer demokratischen Gesellschaft die Rolle eines “Watchdog”. Werden einer NGO Informationen von öffentlichem Interesse verweigert – und das war hier der Fall – so berührt das Artikel 10 der Menschenrechtskonvention.
War die Auskunftsverweigerung durch österreichische Behörden zulässig?
Nein, sagt der EGMR und erteilt Österreich (und Tirol) eine schallende Ohrfeige: Denn die Grundverkehrskommission hat über die geforderten Informationen verfügt. Die Schwierigkeiten bei der Anonymisierung (und etwaige damit verbundene Kosten) seien demnach selbstverschuldet. Es war die Grundverkehrskommission die sich dafür entschieden hat, ihre Entscheidungen jahrelang geheim zu halten – obwohl diese von erheblichem öffentlichem Interesse sind.
Das finale furioso der Entscheidung ist es wert wortwörtlich zitiert zu werden:
“[Der Gerichtshof] kommt zum Ergebnis, dass die vollständige Verweigerung des Zugangs zu den Entscheidungen der Grundverkehrskommission unverhältnismäßig [und damit menschenrechtswidrig] war. Die Grundverkehrskommission, der – kraft eigener Entscheidung – ein Informationsmonopol bezüglich ihrer Entscheidungen zukam, machte es der NGO auf diese Weise unmöglich, ihre Recherche [durchzuführen … ] und sich in sinnvoller Weise am Gesetzgebungsprozess […] zu beteiligen. […] Der Eingriff in das Recht auf Meinungsfreiheit der NGO kann daher nicht als in einer demokratischen Gesellschaft notwendig angesehen werden. Daher ist Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt“.
Die bisherige österreichische Praxis, Auskünfte als Gnadenakt zu gewähren, ist damit rechtlich nicht mehr haltbar.
Stattdessen sind die Aufkunftspflichtgesetze im Einklang mit Artikel 10 Menschenrechtskonvention so anzuwenden, dass Auskunft grundsätzlich zu erteilen und die Geheimhaltung die Ausnahme ist.
Ein Hinweis zum Schluss: Das Urteil ist noch nicht endgültig. Österreich kann in den kommenden Tagen gegen das Urteil bei der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Berufung einlegen.
Das wäre ein Anschlag auf die Informationsfreiheit. Deswegen gilt es in den kommenden Tagen besonders wachsam nach Strassburg zu blicken.